Die Angst vor dem Danach

Was ist passiert?

Sonntag – kurzer Heimatausflug. Eigentlich schön. Und dann… zack, auf der Hinfahrt wieder dieses altbekannte Karussell im Kopf. Es ging um Toni. Seit ein paar Tagen klagt er über Schmerzen – na ja, an einer Stelle, die nur Jungs haben. Und plötzlich war sie wieder da: die Unsicherheit. Die Frage, ob ich etwas übersehe, ob ich irgendwas falsch mache. Und wie immer: Worst Case. Klinik, Leid, Tod. Mein Kopf ist halt Spezialist im Katastrophisieren – das volle Programm.

Mir wurde klar: Okay, so stabil wie in den letzten Wochen bin ich wohl doch nicht unterwegs. Und dann – fast schon filmreif – kam mittags dieser Geistesblitz. Thema Freundschaft. Rückhalt. Oder besser gesagt: der plötzliche Eindruck, dass da vielleicht weniger Rückhalt ist, als ich dachte. Und das hat reingeknallt. So richtig. Traurigkeit. Enttäuschung. Und die Angst war wieder am Start – wie so ein treuer Hund, der sich einfach nicht abschütteln lässt.

Die Nacht? Joa, nicht super, aber ich hab immerhin geschlafen.

Toni hat übrigens einen Arzttermin bekommen (alles halb so wild zum Glück). Und das Beste: Die Ärztin hat ihm sogar das OK gegeben, mit seinem Ding rumzuspielen. Jackpot. 😉

Aber zurück zu mir: Was mache ich jetzt mit dieser Nummer rund um Freundschaft? Ich hab mal reingespürt und dachte: Schreib’s dir von der Seele. Und siehe da – es hat geholfen. Der Blogpost ist zwar privat, aber der Effekt war groß. Beim Schreiben wurde mir klar: Ich hab vielleicht nicht viele Freunde, aber dafür echt gute. Und das ist doch irgendwie mehr wert als jede lange Liste voller „Bekannter“.

Freundschaft neu definiert. Erkenntnis gewonnen. Und trotz der kleinen Krise: ein Stück weitergewachsen.

Vollgas auf die Fresse

Nach dem Blogbeitrag über Freundschaft fühlte ich mich ziemlich angeschossen. Der Text hat was ausgelöst – und irgendwie hat er auch was freigelegt. Also bin ich zu Axel F. gegangen. Ich erzählte ihm von Sonntag, von Tonis Beschwerden und von einem größeren Knall mit Lotta. Und dann kam’s dicke: Bei Toni habe ich scheinbar falsch gehandelt. Zu wenig Einfühlung, keine Wärmflasche, kein Blasen- und Nierentee – nichts von dem, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Zack. Der erste Schlag in die Magengrube.

Und bei Lotta? Dasselbe Spiel. Ich habe wohl willkürlich reagiert, Strafen ausgesprochen, ohne Herz, ohne Haltung. Zweiter Treffer. Ich hab mich gar nicht groß verteidigt – konnte ich auch nicht. Denn innerlich war ich noch viel mehr mit dem Thema „Freunde“ beschäftigt.

Und da kam der Schlag direkt ins Gesicht. Kein Magen mehr, volle Breitseite.

Wir scheinen beim Thema Freundschaft unterschiedliche Ansichten zu haben. Laut Axel soll ich erstmal gar nichts erwarten. Und überhaupt: Ich sei ja nur so großzügig und nett, weil ich nach Anerkennung lechze. Eine Fassade, um gemocht zu werden. Und tief drinnen? Da sei ich ganz anders.

In dem Moment spürte ich es sofort – diesen Druck. Dieses unangenehme Kribbeln im Magen. „Hallo Sebastian, ich bins wieder. Deine Angst. Und keine Sorge, Panik hat für die nächsten Tage auch schon was im Kalender stehen.“

Und dann die Fragen. Die fiesen. Die, die bohren: Spiele ich allen nur etwas vor? Bin ich wirklich so, wie ich auftrete – oder ist das alles ein einziger Anerkennungstrip? Was, wenn da wirklich etwas Böses in mir lauert? Und was passiert, wenn ich es finde? Muss ich dann Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft – welche meiner höchsten Werte – aufgeben?

Diese Gedanken haben mir richtig Angst gemacht. Und mit der Angst kam der Selbstzweifel zurück. Krass intensiv. Wie soll das am Donnerstag zu Hause funktionieren? Was haben mir die letzten sechs Monate getrennt von meiner Familie überhaupt gebracht? Nichts? Denn da waren sie wieder – Ohnmacht und Verzweiflung. Die alten Bekannten. Ich fühlte mich wie zurück bei Tag 1. Hilflos. Ohne Perspektive.

Und dann, wie aus dem Nichts: der Gedanke, dass etwas mit mir nicht stimmt. Hab ich eine Persönlichkeitsstörung? Bin ich vielleicht autistisch? Kein Zugang zu meinen Gefühlen? Keine Ahnung. Aber das Gefühl war da – voll und laut.

Der ganze Dienstag war durchzogen von Angst und Verzweiflung. Die Frage, ob ich ein Hochstapler bin, hat mich komplett eingenommen. Bin ich wirklich nur freundlich, um gemocht zu werden? Bin ich ein schlechter Mensch?

Und als wär das nicht genug, kam auch noch die Panik vor dem Zuhause-Sein dazu. Wie soll ich das schaffen, in diesem Zustand? Wird der ganze Mist von vorn losgehen? Muss ich meine Familie wieder im Stich lassen?

Bitte, lieber Gott – gib mir Kraft. Gib mir Durchhaltevermögen. Lass mich ankommen. Lass mich an mir arbeiten dürfen, ohne dass alles gleich wieder zusammenbricht.

Die vermeintliche Erlösung

Ich bin wirklich getroffen worden. So richtig. Und das ausgerechnet kurz vor der Entlassung. Warum jetzt? Axel F. sieht das im Nachhinein übrigens auch als eher ungünstig. Trotzdem: Mein Vertrauen in ihn ist ungebrochen. Das sitzt weiterhin.

Der gesamte Dienstag war von Angst durchzogen. Wieder diese alte Bekannte – die Angst, allein zu sein. Allein mit mir. Allein mit meinen Gedanken, meinen Zweifeln. Ich fragte mich wieder: Bin ich wirklich ein schlechter Mensch? Ist alles nur Fassade? Habe ich überhaupt echte Freunde? War alles umsonst?

Kurz gesagt: Nein.

Zum Glück hatte ich noch einen Termin bei Ali G. Ich erzählte offen, wie es mir geht. Es waren mehrere Leute im Raum – und plötzlich wurde klar: Dieses Thema betrifft viele. Die Frage: Sind wir nur nett, weil wir gemocht werden wollen? Die Antwort hat uns alle getroffen – aber auch entlastet: Ja, in gewisser Weise schon. Es ist diese tief verankerte Angst, ausgeschlossen zu werden. Unser Grundbedürfnis nach Bindung. Und das ist menschlich. Keine Schwäche, sondern ein Teil von uns.

Und dann kam der Zweifel an der ganzen Therapie. War das überhaupt hilfreich? Hat es was gebracht?

Ali G. hat dazu einen Spruch rausgehauen – ich krieg ihn nicht mehr ganz wortwörtlich hin, aber sinngemäß war’s:

„Ist am Ende die Buchse voll, war die Therapie toll.“

Und ja, genau das hat gesessen. Diese Zweifel, diese Angst vor dem Zurück ins Zuhause – das ist normal. Vielleicht sogar ein gutes Zeichen. Ein Zeichen, dass sich wirklich was bewegt hat.

Und weißt du was?
Dieser eine Satz hat mir die Nacht von Dienstag auf Mittwoch gerettet.

Am Dienstagmorgen habe ich um einen Termin bei Axel F. gebeten, weil es mir wirklich nicht gut ging. Ein Teil von mir dachte: Vielleicht hat er mich extra ein bisschen angestupst – um mich endlich dazu zu bringen, für mich selbst einzustehen. Auf mein Gefühl zu hören. Denn Freundschaft bedeutet für mich Geben und Nehmen. Und ja, ich gebe gern – oft mehr, als gut für mich ist. Aber wenn gar nichts zurückkommt, ist das für mich keine Freundschaft. Vielleicht wäre genau das der Moment gewesen, in dem ich mal klar gesagt hätte: Bis hierhin und nicht weiter.

Am Montag hatte Axel F. im Gespräch gesagt: „Wenn es Ihnen nicht gut geht, melden Sie sich.“
Ich hatte das auf das Pflegezimmer bezogen – also holte ich mir dort am Abend ein Kurzgespräch.
Später stellte sich raus: Er meinte, ich solle direkt nach seinen Patiententerminen zu ihm kommen.
Ich hätte also schon Montag vieles klären können – hab’s einfach falsch verstanden.

Am Dienstag war ich enttäuscht, dass mein Spontantermin erstmal abgelehnt wurde. Es fühlte sich fast an, als wäre das bewusst gemacht worden – um mich aus der Reserve zu locken.

Aber siehe da: Nach der Gruppe kam ein Anruf. Ich durfte doch noch zu Axel F., um 17:15 Uhr. Ich glaube, wir saßen über eine Stunde zusammen.
Und auch wenn er manchmal polarisiert – mein Gefühl bleibt: Er ist ein verdammt guter Therapeut. Und ein feiner Mensch obendrein.

Was wir genau besprochen haben? Kann ich ehrlich gesagt nicht mehr rekonstruieren – mein Kopf hat nach der Gruppe schon gequalmt.
Aber ein paar zentrale Sätze sind hängen geblieben:

Ich bin süchtig nach Anerkennung.
Deshalb bin ich so, wie ich bin.
Ich soll das nicht komplett aufgeben – aber ich vergesse mich dabei oft.
Wenn ich nicht mehr geben kann, besteht die Gefahr, dass ich innerlich abstürze.

Die Erkenntnis war klar: Ich darf – zumindest zeitweise – auch mal kein Geber sein. Auch mal nein sagen. Auch mal nicht nett sein.
Nicht, weil ich meine Werte verraten soll, sondern weil ich mich selbst schützen muss.

Ich muss kein Arschloch werden – aber ich darf’s mir erlauben, mal Grenzen zu setzen.
Ich muss nicht alles geben, nur um gemocht zu werden. Und dieses ganze Schwarz-Weiß-Denken in mir – „entweder ich bin gut oder komplett daneben“ – das wurde mir in diesem Gespräch knallhart bewusst.

Es gibt nicht nur „der Gute“ oder „der Arsch“.
Der Graubereich dazwischen ist riesig.
Und genau da will ich hin.

Diese Erkenntnis lässt sich eigentlich auf alles übertragen, was mich betrifft.
Ich muss lernen, auf mich und mein Gefühl zu hören.
Nicht ständig absichern, nicht dauernd googeln, nicht fragen, ob das „so okay ist“.

Der Mittelweg ist mein Goldstandard.

Ob das Ganze nun geplant war? Keine Ahnung. Haben wir, glaube ich, auch gar nicht geklärt.

Die Angst vor der Angst

Das Thema schien geklärt zu sein – und trotzdem bleibt ein angeschossener Sebastian zurück. Mir ist klar geworden, wie anfällig ich noch bin. Ich habe am Mittwoch morgens und abends Bedarf genommen, weil das Gefühl, es zu Hause nicht zu schaffen, wieder größer wurde. Die Angst, meine Familie wieder allein lassen zu müssen, hat sich langsam, aber kraftvoll in mir aufgebaut. Das Gute: Der Bedarf wirkt. Und das ist für mich ein echter Gamechanger im Umgang mit der Angst.

Also wieder eine neue Baustelle, die sich aufgetan hat. Die Angst – fast schon Panik – vor dem Nachhausekommen war und ist riesig. Ich konnte dank Bedarf schlafen und bin am Donnerstag, dem Tag der Entlassung, mit einem mulmigen Gefühl aufgewacht. Die Angst war da, unterschwellig, spürbar. Aber: Die vielen lieben Worte, die Umarmungen, die ehrlichen Reaktionen der anderen haben mir gezeigt, dass ich offenbar doch okay bin. Dass ich wirklich gemocht werde. Die Depression – zumindest aktuell – hält sich etwas im Hintergrund.

Ich hatte dann mein Abschlussgespräch mit Axel F. Und er hat mir zwei wichtige Dinge mitgegeben. Erstens: Wenn die Angst – oder fast schon Panik – kommt, soll ich mich komplett auspowern. Richtig verausgaben. So, dass der Körper auf Erschöpfung umschaltet. Denn der Körper kann nicht unterscheiden, ob das, was da gerade los ist, Angst oder physische Anstrengung ist. Ein Boxsack, Laufen, irgendwas, was wirklich an die Grenzen geht. Was ich nicht tun soll: Mich hinsetzen und versuchen, mich „ruhig zu atmen“. Das dauert ewig. Und ganz ehrlich: Ich dachte, ich soll es genau so machen – mich ruhig hinsetzen, durchhalten. Aber nee – so viel Qual muss also gar nicht sein. Und wenn das Auspowern nicht reicht: Bedarf nehmen. Fertig.

Zweitens: Es ist wichtig, täglich zu meditieren. Um den Akku aufzuladen, bevor er leer ist. Um nicht erst zu reagieren, wenn es fast zu spät ist. Damit ich in der nächsten stressigen Phase besser gewappnet bin. Und noch ein Schlüsselwort: Me-Time. Raum für mich. Das wird wohl noch ein eigener Beitrag – weil’s einfach zu wichtig ist, um es hier nur nebenbei zu erwähnen.

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