Tag der Taufe

Der Morgen danach – und die Angst sagt wieder Hallo

Geil, die Nacht war gut! Kein Bedarf an irgendwas – nichts genommen, einfach geschlafen. Und vor allem: Ich war froh. Froh darüber, dass ich mich am Vortag ganz ohne externes Zutun beruhigen konnte.

Oder lag es vielleicht auch daran, dass wir nicht die volle Verantwortung für drei Kinder hatten? Müsste ich mal beobachten.

Den Wecker hab ich ein bisschen gesnoozed, aber irgendwann bin ich dann mit Lene zusammen aufgestanden – wir haben zusammen geduscht. Warum ich mir auch da keine kleine Auszeit gönne, einfach mal alleine in Ruhe duschen… keine Ahnung.

Später hab ich mich in unsere Leseecke gesetzt und angefangen, weiter im Buch „Männerseelen – Ein psychologischer Reiseführer“ von Björn Süfke zu lesen. Es ging um einen Patienten mit Suizidgedanken – und irgendwas daran hat bei mir einen Schalter umgelegt. Diese Leichtigkeit vom Morgen, die war plötzlich weg.

Ich hab gemerkt, wie sich mein Körper wieder zusammengezogen hat – Richtung Bauch. Und gleichzeitig kam sie wieder: diese innere Unruhe. Das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Die Angst war also wieder da.

Ich glaube, mir wurde in dem Moment einfach nochmal bewusst, wie tief das Loch mal war, in dem ich gesteckt habe. Und ja – vielleicht ist es nett von der Angst, mich daran zu erinnern, dass ich noch auf meinem Weg bin, dass ich weiter an mir arbeiten will.
Aber hey – ich habe gelesen! Ich setze mich mit meinen Gefühlen auseinander! Also: Was soll das?

Wenn die Angst einmal da ist, potenziert sich alles. Plötzlich ist jede Form von Zuversicht weg. Das Selbstvertrauen schmilzt dahin. Und mein Denken kreist nur noch um:
Hoffentlich ist nichts mit mir.
Hoffentlich bin ich beziehungsfähig.
Hoffentlich liebe ich meine Kinder genug.
Hoffentlich bin ich nicht ernsthaft psychisch oder körperlich krank.
Hoffentlich geht das alles wieder weg.

Es war also wirklich wieder kacke. Und die Unruhe hat mich innerlich auf und ab laufen lassen wie ein Duracell-Häschen, das einfach nicht zur Ruhe kommt.

Und klar – ich versuche dann, dieses Gefühl der Angst irgendwie loszuwerden. Einfach weg damit. Aber genau das macht’s oft nur schlimmer.

Taufe gefeiert: Die Angst heißt jetzt Jochen

Ich glaube, es ist an der Zeit, meiner Angst einen Namen zu geben. Am liebsten hätte ich sie spontan „Motherfu****“ genannt – aber ehrlich gesagt: Das wäre nicht fair. Klar, die Angst schränkt mich ein. Sie macht mir das Leben oft schwerer, als es sein müsste. Aber sie ist ja nicht grundlos da.

Sie will mich nicht ärgern. Sie zeigt mir vielleicht einfach, dass mir etwas fehlt. Bedürfnisse? Werte? Ein Fahrplan? Mehr Bewegung? Ich weiß es nicht genau.

Aber gut – fangen wir einfach mal an. Also: Liebe Angst, ab heute trägst du den Namen „Unser Jochen“. Vielleicht nennen wir dich nochmal um, wer weiß. Aber das war das Erste, was mir eingefallen ist. Und es fühlt sich erstmal richtig an.

Mir ist heute vor allem eins bewusst geworden: Jochen hat mich tatsächlich wieder eingeschränkt. Wir hatten so viel vor – unser Sonntag, unser Familientag, sollte eigentlich voller gemeinsamer Zeit sein. Stattdessen habe ich gebloggt, war laufen, habe Videos zum Thema Angst akzeptieren geschaut.

Plätzchen backen? Nicht passiert. Duplo sortieren? Nope. Gesellschaftsspiele? Auch nicht.
Danke, Jochen.

Aber weißt du was? Es hatte auch einen Vorteil.
Ich habe vor fast einem Jahr den Wavestop-Kurs von www.panikfrei.com gekauft. Irgendwann hab ich aufgehört, weiterzumachen – es war zu viel, zu abstrakt. „Werte, Emotionen, Ego, Meditation“ – das klang für mich damals nach BlaBla. Ich wollte doch einfach nur, dass die Angst verschwindet.

Heute sehe ich es anders. Vielleicht war ich damals einfach noch blind dafür. Heute verstehe ich zumindest ein kleines Stück davon.
Und mir wurde klar: Rückschritte sind gut.
Sie lassen Gefühle durch, die sonst stecken bleiben. Und ich darf aufhören, gegen Jochen anzukämpfen. Ich muss ihn nicht besiegen – ich darf ihn akzeptieren.

„Einfach akzeptieren“ klingt natürlich erstmal wie so ein schöner Spruch auf einer Postkarte. Ganz so weit bin ich noch nicht. Aber ich merke: Etwas in mir verändert sich. Langsam.

Der Tag war komplett mit der Angst besetzt – aber gegen Abend wurde es besser. Und zwar, ohne dass ich aktiv etwas dagegen gemacht habe.
Die Angst war noch da. Aber ich hab sie nicht mehr so wichtig genommen. Ich hab sie einfach mal machen lassen. Nicht befeuert. Einfach da sein lassen.

Jochen bleibt – aber ich bleib auch

Am Abend war da noch dieses Grundrauschen. Nichts Wildes, aber spürbar. Jochen war da – leise, aber präsent. Es war mehr die Angst vor der Angst, die mitgeschwungen hat. Aber auch daran habe ich mich hier zu Hause irgendwie gewöhnt. Und ich glaube, das ist und bleibt mein persönlicher Endgegner:

Nicht die Angst davor, dass mit mir etwas sein könnte – die ist inzwischen fast nebensächlich (glaube ich zumindest).
Sondern die Angst vor den Gefühlen, die in mir aufsteigen würden, wenn etwas wäre.
Erwartungsangst. Die macht mich wirklich fertig.

Die Nacht war leider ziemlich kurz. Ich war innerlich nicht bereit zu schlafen, bin immer wieder aufgewacht. Früher hätte ich das sofort der Angst zugeschrieben. Aber diesmal war da etwas anderes.

In der letzten Therapiestunde bei Mrs. Vendetta kam ein Gedanke auf, der sich in mir festgesetzt hat:
Tatendrang kann sich wie Angst anfühlen.
Das hat was mit mir gemacht. Denn Tatendrang mobilisiert auch – aber nicht für Flucht oder Abwehr. Sondern für Bewegung. Für Richtung. Für Veränderung.

Und ich glaube, genau das war es in dieser Nacht: Nicht Angst – sondern Tatendrang.

Immer wieder blinzelte die Erwartungsangst durch, aber sie blieb nicht lange.
Und irgendwann – gegen 01:00 – hab ich dann doch zum Bedarf gegriffen. Ganz ohne Schlaf wär’s einfach keine gute Idee gewesen. Und hey: Die Medikamente dürfen jetzt lockerer sitzen. Nicht mehr erst dann, wenn’s fast zu spät ist.

Was mir an diesem Tag – oder den letzten Tagen – noch klar geworden ist?

Es funktioniert!
Wenn Angst oder Tatendrang da sind – dann beweg dich! Ich habe in der Nacht einfach viele Kniebeugen gemacht, bis ich völlig aus der Puste war. Und ja, das hat richtig gutgetan.

Ich hab das schon beim Inlineskaten gemerkt: Bewegung hilft. Es holt mich raus aus dem Kopf – rein in den Körper. Und es stellt sich gleichzeitig meiner Angst, dass „etwas mit dem Herzen“ sein könnte. Ich geh da an mein Limit. Und mein Körper macht mit.

Und das Schönste daran:
Ich habe ein Bedürfnis erkannt.

Ich will beweglich und fit sein.

Das ist ein großes Thema bei mir. Mich nervt es, träge zu sein, unbeweglich zu sein. Ich will das ändern. Weil ich weiß: Wenn ich mich regelmäßig bewege, wird die Müdigkeit weniger. Und der Spaß kommt zurück.
Ich liebe es, aktiv zu sein. Dinge auszuprobieren. Und am besten ohne dabei gleich komplett zu schwitzen, völlig aus der Puste zu sein oder dass mir danach alles wehtut.

Also: Was kann ich tun?
Sport. Bewegung. Gymnastik. Regelmäßigkeit.

Und ja, ich weiß, das wird nicht von heute auf morgen passieren. Aber ich kann daran wachsen. Pö a pö, wie meine Mutter sagen würde.

Das Gute ist: Ich mag dieses Gefühl, aus der Puste zu sein. Ich habe es lange gemieden – aus Angst, zu wenig Luft zu bekommen. Oder aus Scham, weil man’s mir angesehen hat. Aber weißt du was?

Das ist mir stand heute egal.

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